Kapitel 9:
Lior

 

 

 

LIOR

 

Kilian

 

 

 

Als sie die Insel Lior ansteuerten, erstrahlte sie im Glanz des Sonnenlichts, das auf sie fiel. Es sah aus wie im Paradies. Ein wunderschöner weißer Sandstrand, grüne Palmen und Büsche und der Himmel war klarer denn je. Die fünf Kameraden standen an Deck, um das Wunder zu betrachten.

 

„Lior, was für ein Anblick!“, brachte Farion hervor.

 

Die anderen staunten ebenso wie er. Die Insel glich einer Märchenwelt.

 

Nach einigen Minuten der Träumerei holte Eldariel seine Freunde wieder in die Realität zurück. „Ich werde an Land gehen. Wer begleitet mich?“

 

„Ich komme mit. Wer weiß, vielleicht hält sich die weise Frau hier irgendwo auf“, antwortete Kilian.

 

„Gut. Ich werde das Schiff bewachen, falls wir ungebetene Gäste bekommen“, bot Farion an.

 

„Seamus, kommst du auch mit?“, fragte Kilian.

 

„Nein. Ich werde ebenfalls hierbleiben. Ich bin noch zu schwach und wäre euch nur eine Last. Außerdem habe ich noch ein paar weitere Seekarten entdeckt, die ich mir unbedingt genauer ansehen muss.“

 

„Ich werde euch begleiten“, brachte sich Natalia ein.

 

„Bist du dir sicher?“, fragte Eldariel.

 

„Natürlich! Außerdem könnt ihr immer eine Kriegerin mit Pfeil und Bogen gebrauchen“, schnauzte sie den Elfenprinzen an.

 

„Schon gut. Ich will nur nicht schuld sein, wenn dir etwas zustößt. Ich denke nicht, dass mir dein Bruder das verzeihen würde“, erwiderte der Eiself.

 

„Das wird nicht passieren. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen“, brachte Natalia nun hervor und stolzierte an Eldariel vorbei.

 

Da alle anwesenden Männer wussten, dass es nicht klug war, einer wütenden Frau zu widersprechen, gingen sie ohne weitere Worte vor Anker und ließen eine Leiter hinunter, um von Bord zu gehen. Das Meer war zu seicht, um noch näher ans Ufer zu gelangen, also stapfte Kilian als Erster durchs klare Blau.

 

Er machte die Leinen an zwei der Palmen fest, während Eldariel ihm folgte. Als er das Wasser berührte, verwandelte es sich plötzlich in Eis. Jedes Mal, wenn er einen Schritt tat, gefror das Wasser unter seinen Füßen für einige Sekunden. Er schritt ein wenig voran, bevor er bemerkte, dass ihm niemand folgte. Als er sich umdrehte, sah er seine Gefährten auf dem Schiff und ihre verblüfften Gesichtsausdrücke, die auf seine Füße wiesen. Verwirrt sah er an seinen Beinen hinab und erschrak, als er seine neue Fähigkeit wahrnahm. Er rannte auf das Schiff zurück und ließ sich langsam zu Boden sinken. Auch Kilian kehrte auf das Boot zurück.

 

Er ging zu dem Elfenprinzen und sah dessen geschockten Gesichtsausdruck. War die Erkenntnis, dass er diese Fähigkeit besaß, so beängstigend? Was hatte diese Reaktion zu bedeuten? Der Kortaner konnte es sich nicht erklären. Doch er hatte noch nie solches Entsetzen im Antlitz des Eiselfen gesehen. Was auch immer gerade in ihm vorging, es musste grauenvoll sein, wenn es den stolzen Elfen so aus der Fassung brachte.

 

„Alles in Ordnung?“, fragte Seamus besorgt.

 

„Mein Vater ... ist soeben gestorben ...“, stotterte Eldariel.

 

Geschockt starrten ihn seine Gefährten an. Wie kam er auf diesen schrecklichen Gedanken? Über so etwas sprach man nicht leichtfertig. Irgendetwas musste geschehen sein, was den anderen entgangen war.

 

 „Was meinst du damit?“, fragte der Waldelf verwirrt.

 

„Die Könige der Eiselfen besitzen gewisse Fähigkeiten. Auch ich habe ein paar davon, weil ich ein Mitglied der königlichen Familie bin. Aus diesem Grund kann ich ein Lagerfeuer mit einer einzigen Handbewegung einfrieren, wenn die Luft feucht genug ist“, klärte der Eiself seinen Freund auf.

 

„Deswegen konntest du das Feuer so schnell löschen, als wir im Wald von Liánon waren“ wurde es Kilian klar.

 

„Ja ... Aber wenn die Fähigkeiten meines Vaters auf mich übergehen, bedeutet das, dass er dem Tode nicht mehr entkommen konnte“, beendete Eldariel seine Erläuterung.

 

„Tut mir leid“, war alles, was Seamus herausbrachte.

 

„Muss es nicht. So ist der Lauf der Dinge nun einmal“, munterte sich der blonde Elf selbst auf.

 

„Soll ich an deiner statt auf die Insel gehen?“, bot Farion an.

 

„Nein, ich habe Kilian versprochen, stets an seiner Seite zu sein. Zudem hat mein Vater einen guten Berater, seinen engsten Vertrauten, der sich um alle Angelegenheiten kümmern wird, bis ich wieder dort bin.“

 

Eldariel rappelte sich wieder auf und ging von Bord. „Kommt, gehen wir. Je eher wir zurück sind, desto besser.“

 

Natalia und Kilian schlossen sich ihm an und folgten ihm auf die Insel. Da nun das Wasser unter den Füßen des Prinzen gefror, gingen die anderen beiden dicht hinter ihm, um ebenfalls auf dem Eis spazieren zu können und nicht nass zu werden.

 

Auf Lior angekommen, mussten sie sich durch einen dichten Urwald kämpfen. Der Weg wurde erst nach einigen Schritten etwas breiter, sodass sie nebeneinander Platz fanden. Zudem sah es aus, als würden unterirdische Grotten unter der ganzen Insel verlaufen, da es an einigen Stellen Wasserlöcher gab, durch die man das Meer rauschen hörte.

 

Natalia hatte längst ihren Bogen gespannt und einen Pfeil angelegt und war bereit, sofort zu schießen, falls ein Feind sie attackieren sollte. So schützte sie die linke Flanke. Eldariel ging mit gezogenem Langschwert in der Mitte und hatte seinen wachsamen Blick stets nach vorne gerichtet, um sofort zu reagieren, falls sich etwas Fremdes näherte. Kilian schloss die Reihe an der rechten Seite seines Elfenfreundes. Auch er hatte sein Schwert gezogen und hielt den Schild in der linken Hand, um auf alles gefasst zu sein. Irgendetwas Unheimliches war auf dieser Insel. Die drei Gefährten konnten noch nicht sagen, was es war. Und doch, eine dunkle Aura umgab diesen Urwald, als würden Gespenster darin hausen.

 

 

 

 

 

•••

 

 

 

Farion

 

 

 

Auf dem Schiff war alles ruhig. Farion setzte sich mit ein paar Trauben an Deck und genoss die Sonnenstrahlen.

 

Seamus, der zu ihm trat, schien es längst wieder besser zu gehen. Er nahm seine Verbände ab, um seine Wunden zu betrachten. Doch es war kaum noch etwas zu sehen.

 

„Sind deine Verletzungen verheilt?“, fragte ihn Farion.

 

„Ja, erstaunlicherweise.“ Der Kobold war verblüfft, wie schnell die Regeneration eingesetzt hatte. Er ging zu dem Fass mit Wasser, um sich zu waschen.

 

Der Waldelf hingegen war keinesfalls überrascht. Schließlich waren es die Heilkräuter aus Liánon gewesen, die dem Gormianer das Leben gerettet hatten.

 

Als der Kobold fertig war, setzte er sich zu Farion.

 

„Wieso tragt ihr Waldelfen eigentlich eine Rüstung, die aussieht wie Baumrinde? Und diese Zweige eingeflochten in eure Haare, hat das eine besondere Bedeutung?“, fragte Seamus neugierig.

 

Farion sah ihn einen Moment lang verwundert an. „Nein, es hat keine besondere Bedeutung, mein kleiner Freund. Die Rüstung ist aus gewöhnlichem Leder. Die Farbe und die Zweige dienen zur Tarnung. Im Wald können wir damit beinahe unsichtbar werden, was uns einen klaren Vorteil unseren Feinden gegenüber verschafft“, erklärte der Elf.

 

„Verstehe. Das klingt plausibel. Ist sicher eine gute Taktik ... Und nenn mich bitte nicht kleiner Freund. Ich bin einer der größeren meiner Art“, verbesserte ihn Seamus.

 

„Tut mir leid. War nicht so gemeint“, erwiderte Farion, ehe er sich erkundigte: „Und? Fehlt dir deine Heimat schon?“

 

„Nein, noch nicht wirklich. Und dir?“

 

„Ich bin noch nicht lange von zu Hause fort, also nein.“

 

 

 

•••

 

 

 

Kilian

 

 

 

Auf der Insel war es immer noch still. Zu still.

 

„Es ist eigenartig. Man hört nichts“, bemerkte Kilian. „Ich meine, leben hier keine Tiere?“

 

„Lior ist als die Heimat der Nixen bekannt. Nicht jeder fühlt sich wohl in ihrer Nähe“, antwortete ihm Eldariel.

 

„Was sind Nixen?“, wollte Kilian wissen.

 

„Meerjungfrauen“, erklärte der Eiself wieder.

 

Kilian blickte seinen Gefährten immer noch ahnungslos an.

 

„Du weißt nicht, was Meerjungfrauen sind? Haben sie euch das in Saboran nicht erzählt?“, fragte Eldariel nun verblüfft.

 

„Nein. Über solche Wesen wurde bei uns nie gesprochen.“

 

„Meerjungfrauen, also Nixen, gehören zu den gefährlichsten und heimtückischsten Lebewesen. Erst machen sie dir schöne Augen, dann locken sie dich in ihre Höhle und wenn du ihnen verfallen bist, ziehen sie dich in die Tiefe des Meeres und ertränken dich“, mischte sich Natalia ein.

 

Eldariel war verwundert über die Erläuterung der Liánerin. Natürlich waren die Fischmenschen mit Vorsicht zu genießen, doch bei der Waldelfe klang es doch etwas nach Eifersucht.

 

Kilian war ebenso überrascht wie der Eiself und doch versuchte er, sich die Wesen vorzustellen. Denn nun war seine Neugierde geweckt.

 

Plötzlich war ein Rascheln im Busch zu hören, gefolgt von einem weiblichen Lachen. Die Kameraden schraken auf.

 

„Was ist das?“, fragte der Kortaner und im nächsten Moment ertönte ein wunderschöner Gesang.

 

„Nixen“, antwortete Eldariel kurz.

 

„Da vorne!“, schoss es aus Natalia hervor.

 

Die Gefährten sahen sich um und erkannten eine Meerjungfrau, die neben einem Wasserloch auf einem Stein saß. Natalia legte sofort ihren Pfeil an und wollte ihn abschießen, doch der Eiself hielt sie zurück.

 

„Warte! Sieh nur.“ Er deutete auf Kilian, der sich langsam wie eine Marionette auf die schöne Frau zubewegte.

 

Die Waldelfe ließ den Bogen sinken. „Was machen wir jetzt?“

 

„Wir reden mit ihr“, antwortete der Eiself.

 

Eldariel schritt voran, um die Meerjungfrau zu begrüßen, während Natalia einen großen Seufzer von sich gab.

 

„Das nimmt kein gutes Ende. Ich wusste, warum ich mitgegangen bin“, sagte sie sich selbst.

 

Als Natalia zu ihnen trat, war Kilian der Nixe längst verfallen.

 

„Du hast eine wunderschöne Stimme“, sagte er ihr immer wieder verträumt.

 

„Danke, mein großer Krieger“, gab die Nixe zurück. Sie hatte wunderschönes, langes, blaues Haar und wickelte es um Kilians Arm, ehe sie zärtlich sein Gesicht streichelte und ihm ein wundervolles Lächeln schenkte. Ihre Augen hatten die Farbe des Meeres und vom Bauch abwärts war sie ein Fisch, doch oberhalb hatte sie einen menschlichen Körper.

 

Natalia wurde übel von dem Anblick, wie sie Kilian um den Finger wickelte, doch als sie zu Eldariel hinüberblickte, erschrak sie. Auch er schien der Fischfrau langsam, aber sicher zu verfallen. So ein eigenartiges, verliebtes Lächeln hatte sie noch nie bei ihm gesehen. Die Waldelfe wurde ungeduldig und rempelte den Eiselfen an. Leider half es nichts und Eldariel blickte ihr weiterhin freundlich entgegen. Sofort kam ihr eine neue Idee und sie nahm seine Hand, zog ihm seinen Plattenhandschuh aus und zwickte ihn so kräftig, dass seine Haut rot wurde.

 

Erst in diesem Augenblick kam Eldariel wieder zur Besinnung und begann, mit der Nixe zu sprechen. Er wunderte sich nur, warum ihn seine Hand schmerzte.

 

„Entschuldige, wir hätten eine Frage“, sagte er geduldig.

 

„Warum denn so ernst, mein Großer?“, gab die Meerjungfrau zurück und wollte Eldariel über die Wange streicheln.

 

Doch dieser ließ sich kein zweites Mal darauf ein. Er packte sie am Handgelenk und schaute ihr tief in die Augen.

 

„Wir haben keine Zeit für deine Spielchen“, machte er ihr sofort klar.

 

Der Eiself ließ ihre Hand wieder los. Daraufhin war nur ein lautes und fieses Lachen von der Fischfrau zu hören.

 

„Ich habe bereits einen von euch. Ich brauche dich nicht, Elfenprinz“, zischte die Meeresbewohnerin, drehte sich blitzschnell um und zog Kilian mit sich ins Wasser.

 

„Nein! Kilian!“, schrie Natalia und sprang der Nixe hinterher, die immer tiefer tauchte, während Eldariel gar nicht reagieren konnte und nur starr dastand.

 

Als der Eiself wieder zu sich kam, lehnte er sich über das Wasserloch und versuchte, irgendetwas zu erkennen.

 

Die Fischfrau tauchte tiefer und tiefer und Kilian hatte sicher kaum noch Luft in seinen Lungen.

 

Endlich sah Natalia die Nixe, als diese einen Moment verweilte, um ihren bewusstlosen Fang zu betrachten. Sie strich ihm übers Haar, als würde er schlafen, und das war Natalias Gelegenheit. Sie nahm ihren Dolch und stieß diesen von hinten in das Herz der Meerjungfrau. Diese schrie auf und ließ Kilian los, versuchte, sich den Dolch aus dem Rücken zu ziehen.

 

Die Kriegerin schwamm mit Kilian, so schnell sie konnte, an die Oberfläche, denn auch sie würde bald bewusstlos werden. Die nassen Kleider und ihre langen Haare, durch die sie immer wieder leicht nach unten gezogen wurde, erschwerten ihr den Aufstieg. Durch die Last von Kilian unter ihrem rechten Arm musste sie umso kräftiger mit dem linken Arm und den Beinen paddeln. Sie glaubte schon, es nicht mehr zu schaffen, als von oben eine Hand nach ihr griff. Eldariel zog sie beide aus dem Wasser. Natalia rang nach Luft und erholte sich auch gleich wieder, doch Kilian rührte sich nicht. Die Waldelfe lehnte sich über seinen Körper und rief seinen Namen, ohne Erfolg.

 

Schnell setzte Eldariel seinen Freund auf und legte seine Arme um dessen Brust. Dann drückte er so kräftig zu, wie er nur konnte, worauf der Kortaner anfing, Wasser zu spucken. Er hüstelte noch etwas, fand jedoch schnell seine Stimme.

 

„Was ist passiert?“, wollte Kilian wissen.

 

„Diese Meerjungfrau hat dich mit sich in die Tiefe gezogen. Doch Natalia hat sofort gehandelt, ist euch gefolgt und hat dich aus ihren Fängen befreit“, erklärte der Eiself.

 

Kilian sah zu der Waldelfe und bedankte sich bei ihr mit einem sanften Lächeln. Die Situation war Natalia etwas unangenehm. Sie schnappte sich ihren Bogen und den Köcher mit den Pfeilen, die sie während der Rettungsaktion an Land gelagert hatte, und stand auf.

 

„Wir sollten von hier verschwinden. Falls sie doch noch zurückkommt oder wir weitere Nixen auf uns Aufmerksam gemacht haben“, forderte sie ihre Gefährten auf.

 

Die beiden Männer rappelten sich auf, nahmen ihr Hab und Gut und folgten ihr.

 

Nach nur wenigen Schritten hörten sie plötzlich beunruhigende Geräusche aus den Wäldern um sie herum. Es klang wie ein Heulen, doch es waren mit Sicherheit keine Wölfe. Die Stimmen waren die von Menschen. Umsichtig zogen die Gefährten ihre Waffen und bereiteten sich auf das Schlimmste vor. Plötzlich verdunkelte sich auch noch der Himmel und große Wolken zogen auf, als würde jeden Moment ein Gewitter folgen. War hier Magie im Spiel?

 

Die drei Freunde sahen zum Himmel, um das Übel einen kurzen Moment zu betrachten, besannen sich dann aber eines Besseren, indem sie in Kampfposition gingen und die wandelnden Gestalten, die sich wie Untote auf sie zubewegten, nicht mehr aus den Augen ließen.

 

Langsam, aber sicher schloss sich der Kreis um sie und die Gefährten wurden Rücken an Rücken immer mehr in die Enge gedrängt. Eine Horde von seltsamen Wesen kam immer näher.

 

Natalia hatte längst ein paar ihrer Pfeile abgeschossen, doch es schien sinnlos. Die Geschöpfe gingen erst zu Boden, wenn sie von beinahe zehn Pfeilen durchbohrt waren. Das Wort Schmerz schien in ihrem Wortschatz fremd. Wie Marionetten bewegten sich die Untoten weiter auf sie zu. Die Situation schien aussichtslos, bis Kilian die Idee hatte, sich an einer Stelle, wo sich nicht so viele der eigenartigen Wesen tummelten, durchzukämpfen. Ohne zu zögern, ging Eldariel auf den Vorschlag ein und rannte mit einem lauten Kampfschrei auf die Geschöpfe los, ehe er zwei von ihnen mit einem kräftigen Hieb den Kopf abschlug. Der Eiself schrak auf, als einer der beiden Körper trotz allem noch nach ihm griff, doch der Prinz reagierte schnell und trat ihn mit dem Fuß zur Seite.

 

Kilian tat es seinem Freund gleich und so hatten sie sich nach kurzer Zeit einen Weg freigekämpft. Die beiden Männer wollten schon Richtung Schiff laufen, als sie plötzlich einen Schrei von Natalia vernahmen, die das Schlusslicht bildete. Kilian wandte sich blitzschnell um und sah, wie eines dieser Monster nach Natalia biss. Das Wesen zerrte an ihren Kleidern und wollte seine Zähne tief in die linke Hand seines Opfers bohren, als Kilian ihr zu Hilfe kam und dem Untoten den Kopf abschlug. Danach ergriff er die rechte Hand der Waldelfe und zog sie mit sich in die Richtung, wo Eldariel ihnen weiterhin den Weg freikämpfte.

 

Immer mehr dieser grauenvollen Geschöpfe kamen auf sie zu, doch an einer Stelle waren ihre Feinde nicht so zahlreich und sie konnten sich an ihnen vorbeidrängen.

 

Trotz ihres Durchhaltevermögens schienen die Wesen nicht sehr klug zu sein. Als sich die drei Gefährten immer weiter von ihnen entfernten und mit einer enormen Geschwindigkeit das Weite suchten, blieben die Untoten stehen und glotzten ihnen nach.

 

Plötzlich erhob sich eine dunkle, gefährliche Stimme und die Nixe, die Kilian hatte verschleppen wollen, tauchte hinter den Marionetten auf.

 

„Folgt ihnen! Findet sie! Los, lauft, ihr nutzloses Pack!“

 

Die Augen der Fischfrau fingen an zu leuchten und dies unterstrich ihren Zorn noch mehr. Das waren keinesfalls die Züge einer normalen Meerjungfrau. Nein. Hier war Magie im Spiel.

 

Die Kreaturen ließen sich kein zweites Mal ermahnen und begannen, ihren Opfern mit großen Schritten zu folgen.

 

Ihr Stöhnen konnten sie schon von Weitem vernehmen und so wussten Eldariel, Kilian und Natalia, dass ihre Beine sie noch schneller tragen mussten. Oder sie würden es nicht mehr bis zum Schiff schaffen.

 

„Ich sehe den Ausgang!“, rief Kilian voller Hoffnung, dass sich das Blatt nun wenden würde, und auch der Elfenprinz und die Waldelfe nahmen die kleine Öffnung in diesem Irrgarten von Urwald wahr.

 

 

 

•••

 

 

 

Farion

 

 

 

Seamus und Farion hatten längst die Gefahr bemerkt, die ihnen drohte. Als sich der Himmel verdunkelte, wussten sie, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch erst als sie das Stöhnen auf der Insel vernahmen, wussten sie, dass sie auf alles vorbereitet sein mussten.

 

In der Hoffnung, ihre Freunde lebend wiederzusehen, ließ Seamus sofort die Leiter an einer Seite des Schiffes hinab und begann den Anker einzuziehen. Die See wurde langsam unruhig und er konnte es nicht riskieren, dass sie nicht rechtzeitig ablegten. Farion hatte die Fracht gesichert und die Segel eingeholt, als plötzlich ein Gewitter losbrach.

 

 

 

•••

 

 

 

Kilian

 

 

 

Als der Eiself als Erster den Strand erreichte, erwartete ihn schon das nächste Unheil. Die blauhaarige Nixe hatte bereits so ein Gewitter erzeugt, dass das Schiff ein paar Meter vom Strand abgetrieben war und die Leinen des Schiffes spannten. Eldariel hielt für einen kurzen Moment erschrocken an, bis ihm Kilian zurief.

 

„Eldariel, lauf! Bleib nicht stehen!“

 

Er drehte sich um und sah, dass die grässlichen Kreaturen den Kortaner und die Waldelfe schon beinahe eingeholt hatten. Der Elfenprinz nahm all seinen Mut zusammen und versuchte über das tobende Meer zu gehen. Doch seine Zauberkraft wirkte nicht. Die Magie, die hier am Werk war, übertraf die der Eiselfen bei Weitem. Die Wellen klatschen Eldariel immer wieder ins Gesicht und so fiel es ihm erheblich schwerer voranzukommen.

 

„Ihr habt es gleich geschafft! Los weiter!“ Seamus stand am Steuer und rief seinen Kameraden immer wieder zu. Auch wenn seine Schreie nichts nützten, versuchte er sie mit den Worten etwas aufzubauen und ihnen neuen Mut zu schenken.

 

Farion war derweil ins Wasser hinabgestiegen, um seinen Freunden den Aufstieg zu erleichtern und die Angreifer zu bekämpfen, falls welche von ihnen bis zum Schiff vordringen würden.

 

 Kilian trennte einem Wesen nach dem anderen den Kopf ab, da er herausgefunden hatte, dass dies die sicherste Methode war, sie in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Auch die Waldelfe schoss längst keine Pfeile mehr mit ihrem Bogen ab, da die Geschöpfe zu nahe waren und ihre Hiebe mit dem Kurzschwert wesentlich schneller und zielsicherer waren. Mit tiefen Schnitten verletzte sie die Untoten wieder und wieder, was diese jedoch nur noch wütender machte.

 

Eldariel war mittlerweile beim Schiff angekommen und löste Farion ab, damit dieser vom oberen Deck des Kahns seine Pfeile auf das Ungeziefer abfeuern konnte. Innerhalb weniger Sekunden hatte der Waldelf den Großteil seiner Pfeile verschossen, jedoch gingen nur drei der Geschöpfe zu Boden. Ihr Durchhaltevermögen war enorm.

 

Auch Natalia erreichte das Schiff und schwang sich elegant an Deck. Der Eiself folgte ihr, da nun auch Kilian das Gefährt erreichte.

 

Sie lösten die Leinen und holten die Leiter ein, an der noch einer ihrer Feinde hing. Dieser stürzte sich auf Natalia und wollte gerade seine Zähne in ihren Arm rammen, als Kilian ihr zum zweiten Mal zu Hilfe eilte und dem Wesen den Kopf abtrennte.

 

Nachdem sie sich ein paar Meter von der Insel entfernt hatten, verschwand das Gewitter wie durch Zauberhand und auch die grässlichen menschenähnlichen Wesen verkrochen sich wieder in den Urwald. Ihr Stöhnen verstummte nach einer Weile und alles war wieder wie vorher. Niemals hätten die Gefährten sich erträumt, dass sich solch ein Schauspiel auf dieser Insel zutragen würde, wie es noch vor wenigen Minuten der Fall gewesen war.

 

Sie ließen sich langsam auf das Deck nieder. Erschöpft, wie sie alle waren, mussten sie sich erst einmal sammeln. Farion warf die Leiche der Kreatur über Bord und versuchte seine Gedanken neu zu ordnen.

 

„Was waren das für Geschöpfe?“, fragte Natalia als Erste.

 

„Ich weiß es nicht. Solche Wesen habe ich noch nie gesehen“, antwortete Eldariel noch völlig benebelt von dem unglaublichen Ereignis.

 

Seamus versuchte, in seinem Gedächtnis ein Bild wachzurufen, das dem dieser Kreaturen ähnelte, doch es gelang ihm nicht. Er konnte sich an keine solch existierende Lebensart erinnern.

 

Kilian stand auf und ging zur Reling, an der Farion bereits stand. Die beiden Freunde blickten auf die Insel und versuchten zu verstehen, was noch ein paar Minuten zuvor geschehen war. Doch auch ihnen blieb es ein Rätsel.

 

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